Pressestimmen: MUSIK FÜR RÄUME


BEGEGNUNGEN IN ZEITLOSEN RÄUMEN. KLANGINSTALLATIONEN VON WALTER FÄHNDRICH IN WEIMAR. (weimar 99, kulturstadt europas)


Die Musik schwebt in Zeit und Raum, verschwindet und taucht wieder auf in der sanften Stimmung der Abenddämmerung. Als ob mein Körper von den leisen Einklängen hypnotisiert ist, gleite ich an den Grabsteinen vorbei. Der sowjetische Ehrenfriedhof in Belvedere erwacht nicht mit den Klängen, sondern ruht sanft mit ihnen weiter – bis die Musik verklingt, den Körper aufweckt und in ihm weiter schwingt. Ich höre meine eigene Musik, ohne Anfang und Ende, ohne Melodie und Text. Vergeblich bleibt die Suche nach Vollkommenheit und Ganzheit. Es ist Musik in einem Raum, der so offen und weit ist, wie die Klänge selbst auch ein verborgenes und weites Sprachrohr der eigenen Empfindungen ist...

Heiko Senebald, Thüringische Landeszeitung



WOHNSITZ WUNDERLICHER TÖNE

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Fähndrichs Raum-Kunst nimmt Prinzipien der Bau-Kunst wahr. Wo der Musiker vor einigen Jahren mit seiner Installation auf der Gartenanlage in Hannover-Herrenhausen der strengen Symmetrie und dem Ensemble-Gedanken des barocken Vorbilds folgte, betont er hier, auf der karolingischen Haskenau, die Tendenz dieser Epoche zum Einzelkunstwerk. Und doch stehen die zehn Orte durch ihre musikalischen Botschaften untereinander in Verbindung, durch Sinustöne, die Fähndrich schwingen lässt. Die sich überlagern – vom ruppigen westphälischen Wind verweht.

Für den Musikkenner produziert der Komponist hochkomplexe Gebilde. Oder, um eine etwas schräge Wald-Metapher zu benutzen: Der strenge Musikkenner hat an Fähndrichs Komposition bloss die harte Nuss; der einfache Hörer den reuelosen Genuss...

Man könnte vielleicht sagen: Fähndrichs Kompositions-Kunst besteht aus trockener Unterholz-Musik. Hier ein dürres Knacken, dort ein hohles Pochen. Mal ein Klopfen. Dann ein Rumoren.

Und die leisen Töne wunderbar.

Christian Thomas, Frankfurter Rundschau



ABGEDUNKELT AUCH DIE KLÄNGE

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Langsam pulsieren die elektronischen Töne im Längsschiff der ehemaligen Minoritenkirche in Stein. Die langen Pausen zwischen den abgedunkelten Klängen lassen unschwer die grossen Zwischenräume zwischen den wuchtigen Säulen des gotischen Sakralbaus assoziieren. Betritt man hingegen die Krypta, so strömen einem nervöse, orgelähnliche Klänge entgegen, als würde man sich unter Wasser begeben. Eine akustische Kuppel scheint sich wiederum zu wölben, tritt man zwischen die Lautsprecher im Kapitelsaal der Kirche, aus denen undechiffrierbares Flüstern zu wogenden Klängen strömt.

Der Schweizer Klangkünstler Walter Fähndrich schuf im Auftrag der Kunsthalle Krems eine Klanginstallation, die bis zum 19. Juli die von Kaiser Joseph II. säkularisierte Kirche in Stein gleichsam in ein tönendes Instrument verwandelt. Exakt hat Fähndrich das gotische Gebäude vermessen, um dessen Proportionen korrespondierende elektronische Klänge zu komponieren. Farben, Tempi, Tonhöhen und die Häufigkeit ihres Auftretens sind aus den mathematischen Massen der Architektur abgeleitet. Dennoch entsteht nie der Eindruck einer rein formalistischen Konstruktion, sondern vielmehr ein höchst lebendiger Konnex: Der Raum wird Klang und dadurch auch optisch intensiver erlebbar.

Noch spektakulärer ist Fähndrichs zweite „Musik für Räume", zumal der Dürnsteiner Wunderburggraben, an dessen westlicher Flanke die durch König Richard Löwenherz berühmt gewordene Burgruine thront, ein beeindruckender Naturraum ist. Die bizarren Felszacken, ohnehin schon mit Namen wie Däumling, Dickkopf, Nilpferd oder Lorelei, erhalten nun gleichsam eine Stimme: Zehn kleine, dem Fels granitfarben angepasste Lautsprecherboxen sind in dem Wachau-Tal angebracht, die täglich exakt zum astronomischen Sonnenuntergang zu tönen beginnen - der Sänger Blondel hat eine elektronische Leier bekommen.

Genehmigt wurde das ungewöhnliche Projekt vorläufig nur bis Ende Dezember. Doch die Dürnsteiner müssen sich nicht fürchten: Fähndrich, international nicht nur bekannt für seine subtil auf die jeweiligen Orte abgestimmten Klangraum-Installationen, sondern auch als improvisierender Bratschist, will das Städtchen nicht in einem lauten elektronischen Klangbad ersäufen. Es sind ganz zarte, dem Licht der Dämmerung korrespondierende Sinustöne, die aus den von weitem kaum sichtbaren Lautsprechern erklingen. Durch computergesteuerte Überkreuzungen ensteht ein mehrdimensionales räumliches Klanggeflecht, das täglich anders klingt, sich für die Wahrnehmenden auch je nach Standort verändert. Fünfzehn Minuten mischt sich die natürliche Geräuschkulisse der Abenddämmerung mit diesem feinen, elektronischen Klangnetz, dessen Knotenpunkte wandernd erkundet werden können – Naturraum wird zur plastischen Klangskulptur.

Reinhard Kager, Frankfurter Allgemeine Zeitung



DAS KLINGENDE BERMUDA-VIERECK

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Walter Fähndrichs Installation „KLANG BEWEGUNG RAUM", die am kommenden Sonntag zum letzten Mal zu erleben ist, gehört sicher zu den unverkrampftesten, unspektakulärsten und anregendsten Musikereignissen dieses Jahres. Da musste weder Eintritt bezahlt noch pflichtbewusst auf Konzertsesseln ausgeharrt werden: Jeder komponierte sich, lustwandelnd im wahrsten Sinne, sein Werk selbst. So ereignete sich Musik live, obwohl und weil ihre Zutaten aus Boxen an Bäumen kamen.

Täglich zwischen 12 und 14 Uhr, zwischen 17 und 19 Uhr entstanden ebenso viele „Uraufführungen", wie Besucher kamen. Da konnte man lange bei mönchischer Gregorianik verweilen, um die sich Klarinetten im Geist einer spielerischen Avantgarde rankten, man konnte dem Maschinensummen unterm Blätterdach lauschen und an die von Robotern betreute Natur im Film „Silent Running" denken, man konnte weiterwandern und die zu sparsamer Instrumentierung vorgetragenen Kräuternamen und Weintips als Aperçu oder auch als Schwerpunkt betrachten. Die symmetrische Architektur des Barockgartens ergänzte sich trefflich mit dem vagierenden Konzept der Klänge, das nur scheinbar beliebig war – denn Fähndrichs klare, entspannte Arrangements hielten die Inseln dieses tönenden Bermuda-Vierecks, auf Hörweite voneinander entfent, unauffällig zusammen.

Der Preis für dieses Erlebnis ist seine Vergänglichkeit: Wenn nach dem kommenden Wochenende die Boxen abgenommen werden, gibt es „KLANG BEWEGUNG RAUM" nicht mehr: Ars brevis? Nicht unbedingt. Denn man darf sicher sein, dass Neue Musik selten so schnell so viele Menschen erreichte und anregte wie in diesem Sommer in Herrenhausen. Die Veranstalter sind zu beglückwünschen. Und es bleibt zu hoffen, dass in Hannover noch häufiger so gute Griffe getan werden.

Volker Hagedorn, Hannoversche Allgemeine Zeitung



MUSIK ALS RAUM

... Das Ergebnis ist erstaunlich. Aus kleinen Lautsprecherboxen an den Wänden erklingt Musik, die auf unerklärliche Weise, aber äusserst genau dem Raum selbst entspricht: Langgezogene tiefe Töne, höhere Töne, die sich dazwischen- und darüberschieben, den Klang verändern, wiederkehrende Strukturen bilden, die gleichwohl nie als Wiederholung erscheinen, sondern als variierende Bestätigung. In kleinen Pausen dringen Strassengeräusche ein und erinnern an die Differenz von innen und aussen. Die Klänge wandern nicht herum, sondern bleiben statisch, sammeln oder reflektieren sich in den Ecken unterschiedlich.

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Und weil diese äusserst präsente, aber gleichzeitig gänzlich unaufdringliche Musik nichts beabsichtigt, schafft sie die Möglichkeit einer erstaunlichen Begegnung: der ihrer Hörer mit sich selbst. Das birgt die gleichen Risiken wie ein intensiver Blick in den Spiegel. Manchmal mag man sich einfach nicht begegnen, manchmal möchte man sich lieber zerstreuen, ablenken, erregen lassen. Dann wird man Walter Fähndrichs Musik-Raum wieder verlassen, die Tür hinter sich schliessen, innen und aussen vertauschen. Das ist nicht schwierig und kann trotzdem die Selbstwahrnehmung befördern. Aber man kann ein, zwei Stunden später wieder zurückkehren und erproben, ob sich etwas verändert hat.
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Hans-Jürgen Linke, Frankfurter Rundschau



MUSIK FÜR RÄUME im Kunsthaus Zug

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AKUSTISCHE ZUSAMMENHÄNGE

Vielmehr fordert und fördert diese Klanginstallation die eigene Hörsensibilität quasi im Mikrobereich. Wer etwa die Bezüge zwischen den mit Stimmgeräuschen beatmeten Hörmuscheln in einzelnen Raumecken wahrnimmt (die Lautsprecher sind hier zur Ecke hin ausgerichtet und laden dazu ein, sich gleichsam in dieser einzunisten), mag sensibilisiert werden auch für entlegenere atmosphärische und akustische Zusammenhänge – und entdeckt vielleicht gar die ähnliche Gestimmtheit zwischen den Glockenklängen vor dem Museum und der Bratschenweise in der Untergeschosshöhle des Nordtraktes.

Trotzdem bietet die Klanginstallation auch etwas für eiligere Besucher. Was der Komponist als spezifische Schwierigkeit dieser Arbeit empfand, dass nämlich die Offenheit der Museumsräume eine komplexere Ausbalancierung und Vernetzung der akustischen Ereignisse verlangte, erweist sich als ihre ureigene Qualität. Nicht nur ergeben sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Klangereignisse überraschend irritierende und geradezu dramatische Momente. Die Durchlässigkeit ermöglicht dem Hörer über weite Distanzen weg dasselbe aus unterschiedlichster Perspektive zu hören. Da kann ein agressiver Akzent von Ferne zum mysteriösen Allklang werden, und was aus der Distanz wie das Blubbern eines fallenden Tropfens klingt, entpuppt sich als sonor gezupfter Bratschenton. Die Installation ist nicht zufällig die konsequenteste „interdisziplinäre" Zusammenarbeit zwischen dem Kunsthaus und der Theater- und Musikgesellschaft Zug. Denn bestechende Qualitäten hat sie gerade dadurch, dass sie lehrt, über die Räume hinweg und über sie hinaus – über die Glockenklänge bis zum Cafeteria-Geklimper – gewissermassen zwischen den Zeilen zu hören. Hören in irritierenden Grenzbereichen? Man höre nur einmal in die ausgetüftelten Urklänge in den Eckinstallationen des Südtrackts hinein.

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung